Vorteil
Im Rahmen der Vorteilsregel kann der Schiedsrichter nach einem Vergehen einer Mannschaft das Spiel weiterlaufen lassen, anstatt einen Freistoß für die gegnerische Mannschaft auszusprechen, wenn sich aufgrund der Spielsituation ein Vorteil für die gegnerische Mannschaft (also die Mannschaft, die das Vergehen nicht begangen hat) ergibt.
Der Vorteil ersetzt also die notwendige Spielfortsetzung, wenn zu erwarten ist, dass die weiterlaufende Spielsituation für die Mannschaft einen größeren Vorteil bietet als die eigentliche Spielfortsetzung.
Die Vorteilsregel ist keine eigene Fußballregel, sondern ist Bestandteil der Regel 5 der Fußball-Regeln.[1]
Der Regeltext[Bearbeiten]
Die Vorteilsregel ist in der Praxis nicht immer einfach anzuwenden und bedarf für den idealen Einsatz einiger Erfahrung. Gleichzeitig ist sie ein sehr wichtiges Werkzeug für den Schiedsrichter, um einer durch ein Foulspiel oder anderes Vergehen benachteiligte Mannschaft eine entsprechende Kompensation zukommen zu lassen. Demgegenüber ist der Regeltext zur Vorteilsregel sehr einfach und kurz gehalten:
- „Der Schiedsrichter hat [...] das Spiel bei einem Vergehen weiterlaufen zu lassen, sofern das Team, das das Vergehen nicht begangen hat, dadurch einen Vorteil erhält, und das Vergehen zu ahnden, wenn der mutmaßliche Vorteil nicht sofort oder innerhalb weniger Sekunden eintritt.“[1]
Ablauf[Bearbeiten]
Wenn der Schiedsrichter ein Vergehen wahrnimmt (beispielsweise ein Foul), die benachteiligte Mannschaft aber im Ballbesitz bleibt, kommt eine Entscheidung auf „Vorteil” in Frage. Dabei hat die Anwendung der Vorteilsregel folgende Ziele:
- Dem Team, welches das Vergehen nicht begangen hat, soll die aussichtsreiche Situation aus dem Spiel nicht genommen werden, wenn diese durch die Spielfortsetzung wahrscheinlich nicht in demselben Umfang wiederhergestellt werden kann, und
- der Spielfluss soll nicht unnötig unterbrochen werden, wenn dies nicht notwendig ist.
Hierbei ist zu beachten, dass die Vorteilsregel nur bei Vergehen einer Mannschaft angewendet werden kann; zudem muss sich der Ball korrekt im Spiel befinden. Demzufolge ist die Vorteilsregel nicht anwendbar bei:
- einer fehlerhaften Spielfortsetzung (z.B. falscher Einwurf oder falscher Ort der Ausführung eines Freistoßes)
- sobald der Ball das Spielfeld verlässt (z.B. wenn der Ball die Seitenlinie überschritten hat).
Dem Schiedsrichter stehen zwischen Zeitpunkt des Vergehens und Entscheidung auf „Vorteil” rund fünf Sekunden zur Verfügung. Diese Zeit nutzt er, um einerseits abzuwarten, wie sich die Spielsituation entwickelt: Bleibt die Situation vielversprechend, kommt die Vorteilsregel zur Anwendung; verliert die Mannschaft allerdings den Ball, pfeift der Schiedsrichter und die Mannschaft erhält die entsprechende Spielfortsetzung zugesprochen, beispielsweise einen Freistoß.
Wartet der Schiedsrichter die ihm zur Verfügung stehende Zeit ab und entscheidet sich dann, das Spiel doch zu unterbrechen, wird dies als verzögerter Pfiff bezeichnet. Grundsätzlich hat sich auch der Begriff Wait and See (englisch für „Abwarten und beobachten”) etabliert.
Spätestens mit Ablauf dieser fünf Sekunden muss der Schiedsrichter eine Entscheidung treffen: weiterspielen gemäß Vorteilsregel oder Unterbrechung des Spiels. Dabei muss der Schiedsrichter diese Zeit nicht ausschöpfen; wenn die Situation eindeutig ist, entscheidet er schneller. Die Entscheidung für oder gegen die Anwendung der Vorteilsregel ist eine Tatsachenentscheidung und somit nicht anfechtbar; außerdem kann der Schiedsrichter diese Entscheidung nicht nachträglich korrigieren. Die Entscheidung, ob der Schiedsrichter in einer Situation die Vorteilsregel anwendet, ist eine Ermessensentscheidung des Schiedsrichters; eine Mannschaft hat also keinen Anspruch auf eine Entscheidung auf „Vorteil“.
Bei einer Entscheidung auf Vorteil zeigt der Schiedsrichter dies gemäß der vorgegebenen Zeichen (mit einem oder beiden Armen, siehe Abbildung unten) an. Sobald der Schiedsrichter auf Vorteil entschieden hat, kann diese Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden, ein nachträglicher Freistoß ist also nicht möglich. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Vorteil eingetreten ist. Darüber hinaus ist eine nachträgliche Entscheidung ebenfalls nicht mehr möglich, sobald der Ball das Spielfeld verlassen hat (hierbei ist aber zu beachten, dass dem Schiedsrichter eine gewisse Reaktionszeit zugestanden werden muss, bis er überhaupt pfeifen oder ein Zeichen geben kann).
- Beispielsituation 1: Ein Spieler der Mannschaft A läuft mit dem Ball auf das Tor zu und hat nur noch den gegnerischen Torhüter vor sich. Dieser stellt dem angreifenden Spieler im Zweikampf irregulär ein Bein. Der angreifende Spieler bleibt aber in Ballbesitz, läuft um den Torhüter und schießt den Ball ins Tor.
- Entscheidung: Tor, Anstoß. Der Schiedsrichter entscheidet auf Vorteil und gibt das Tor, da dieses in jedem Fall einen größeren Vorteil darstellt, als der fällige Freistoß/Strafstoß. Ggf. ist eine persönliche Strafe gegen den Torhüter notwendig.
- Beispielsituation 2: Ein Spieler der Mannschaft A läuft mit dem Ball auf das Tor zu und hat nur noch den gegnerischen Torhüter vor sich. Dieser stellt dem angreifenden Spieler im Zweikampf irregulär ein Bein. Der angreifende Spieler bleibt aber in Ballbesitz, läuft um den Torhüter und hat das leere Tor vor sich. Beim Schuss aufs Tor trifft der Spieler den Ball nicht richtig, sodass der Ball am leeren Tor vorbeirollt.
- Entscheidung: Abstoß. Da die aussichtsreiche Situation durch Anwendung der Vorteilsregel wiederhergestellt wurde, ist der Vorteil eingetreten. Dies gilt auch dann, wenn die Situation nicht zum Tor führt. Wenn die aussrichtsreiche Situation eindeutig wiederhergestellt wurde, ist es auch irrelevant, ob der Schiedsrichter das entsprechende Zeichen für Vorteil gegeben hat.
Zeichengebung[Bearbeiten]
Entscheidet der Schiedsrichter auf Vorteil, zeigt er dies erkennbar an. Dabei hält er beide Arme halboffen schräg nach oben (siehe untenstehende Abbildung sowie das Bild oben rechts).
Vorteilsituationen sind meist mit hohem Tempo in der Spielsituation verbunden, auch für den Schiedsrichter. Das vorgesehene Zeichen für die Vorteilsregel ist bei einem Sprint allerdings ggf. hinderlich, weshalb zur Saison 2019/2020 auch eine „einarmige“ Anzeige ins Regelheft aufgenommen wurde.
Die Vorteilsregel in der Praxis[Bearbeiten]
Die Vorteilsregel ist für den Schiedsrichter ein sehr mächtiges Werkzeug, kann bei ungeschickter Anwendung aber auch einige Unruhe in die Spielleitung bringen. Daher folgen hier einige Tipps für den Schiedsrichter, die bei der Anwendung der Vorteilsregel möglichst beachtet werden sollten.
- Je hektischer das Spiel gerade ist (viele Fouls, viele persönliche Strafen, und insbesondere viele Diskussionen von Spielern, Teamoffiziellen und Zuschauern), desto zurückhaltender sollte der Schiedsrichter mit der Vorteilsregel umgehen. In hektischen Spielphasen ist es empfehlenswert, Fouls möglichst sofort abzupfeifen, um Diskussionen gar nicht erst aufkommen zu lassen (Spielmanagement). In eindeutigen Fällen sollte die Vorteilsregel natürlich dennoch zur Anwendung kommen.
- Die Anwendung des „verzögerten Pfiff“ ist in hektischen Spielen auch eine mentale Herausforderung für den Schiedsrichter. So kommen nach einem Foulspiel während der fünf Sekunden des „Wait and See“ häufig Beschwerden auf, warum der Schiedsrichter das Foulspiel nicht abgepfiffen hat. Tritt der Vorteil dann nicht ein und der Schiedsrichter greift zum „verzögerten Pfiff“, muss er sich häufig die Unterstellung gefallen lassen, sich dem Druck der Beschwerden zu beugen... Hier kommt es auch auf eine gewisse Souveränität in der Spielleitung sowie eine gute Kommunikation an, dieses Vorgehen kurz und präzise deutlich zu machen.
- Je näher sich die Situation am gegnerischen Tor befindet, umso eher sollte auf den Vorteil verzichtet werden, da der entsprechende Freistoß zu einer höheren Torwahrscheinlichkeit führt. Dies gilt insbesondere, wenn die Spielfortsetzung ein Strafstoß wäre - hier sollte nur dann die Vorteilsregel angewendet werden, wenn es Sekunden nach dem Vergehen nahezu sicher zu einem Tor für die gegnerische Mannschaft kommt.
- Auch Vorteilssituationen nahe des Tores der Mannschaft, die das Vergehen nicht begangen hat, sind vorsichtig zu behandeln. Hier ergibt sich selten eine vielversprechende Spielsituation. Der Schiedsrichter sieht aber unglücklich aus, wenn er auf Vorteil entscheidet, die Mannschaft dann nahe am eigenen Tor den Ball verliert und entsprechend ein Tor für den Gegner fällt. Hier sollte eine Entscheidung auf Vorteil also besonders abgewägt werden.
Die Anwendung der Vorteilsregel ist auch im Rahmen einer Schiedsrichter-Beobachtung ein wichtiges Element. Entscheidet der Schiedsrichter in einer Schlüsselsituation auf „Vorteil“ und hieraus entsteht unter Umständen sogar ein Tor für die Mannschaft, welcher der Vorteil gewährt wurde, ist dies nicht selten ein Anlass für eine Punktaufwertung.
Persönliche Strafen nach Vorteil[Bearbeiten]
Der Schiedsrichter kann auch auf „Vorteil“ entscheiden, wenn gegen den fehlbaren Spieler für das Vergehen eine persönliche Strafe ausgesprochen werden muss. Die persönliche Strafe entfällt nicht, sondern wird in der nächsten Spielunterbrechung nachträglich gezeigt.[2] Hierbei macht der Schiedsrichter durch entsprechende Gestik deutlich, dass die persönliche Strafe für das entsprechende Vergehen ausgesprochen wird.
Grundsätzlich sind hierbei Besonderheiten zu beachten:
- Im Fall eines taktischen Fouls entfällt die notwendige Verwarnung, wenn der Vorteil eingetreten ist, da die unsportliche Intention des Foulspiels nicht zum Tragen gekommen ist.[2]
- Versucht ein Spieler durch ein Foulspiel eine klare Torchance zu verhindern, es aber trotz des Foulspiels zu einem Vorteil kommt und die klare Torchance erhalten bleibt, wird der foulende Spieler anstelle des Feldverweises nur verwarnt.[2] Dies kann damit erklärt werden, dass es sich beim „Torraub“ um eine so schwerwiegende Unsportlichkeit handelt, dass hier der Versuch auch noch mit einer Verwarnung bedacht werden soll.
- Seit der Saison 2022/2023 kommt es hier ggf. sogar zu einem Doppelrabatt, nämlich wenn es sich um ein ballorientiertes Vergehen handelt (allein dafür gibt es ja nur noch eine Verwarnung, wenn die Torchance durch den Strafstoß wiederhergestellt ist) und zusätzlich ein Vorteil eintritt. Hier wird also quasi zweimal heruntergestuft, sodass es in diesem Fall (d.h. Foulspiel im Strafraum, Verhinderung einer klaren Torchance, allerdings ballorientiertes Foul und es tritt ein Vorteil für die angreifende Mannschaft ein) gar keine persönliche Strafe mehr gibt.
- Begeht ein Spieler ein Vergehen, für das er des Feldes verwiesen werden muss (Beispiel: ein brutales Foul), so sollte der Schiedsrichter nur in ganz bestimmten Fällen auf „Vorteil“ entscheiden, nämlich wenn sich eine sehr aussichtsreiche Situation für das Team des gefoulten Spielers ergibt (klare Torchance). In diesem Fall wird der Feldverweis in der nächsten Spielunterbrechung ausgesprochen. Dies gilt in etwas abgeschwächter Form auch dann, wenn der Spieler für das Vergehen die gelb-rote Karte erhält.[2]
- Für diesen Fall gibt es eine weitere Besonderheit: Kommt der Spieler, der das rotwürdige Vergehen begangen hat und entsprechend in der nächsten Spielunterbrechung des Feldes verwiesen werden soll, zuvor an den Ball oder greift anderweitig ins Spiel ein, unterbricht der Schiedsrichter das Spiel. Er verweist den Spieler mit der roten Karte des Feldes und gibt einen indirekten Freistoß für die gegnerische Mannschaft (an dem Ort, an dem der Spieler ins Spiel eingegriffen hat). Analog gilt dies auch für Situationen, die eine gelb-rote Karte zur Folge haben.[3]
- Greift dieser Spieler ins Spiel ein, indem er ein weiteres Vergehen begeht, gibt es anstelle des indirekten Freistoßes die entsprechend vorgesehene Spielfortsetzung (bei einem weiteren Foul also einen direkten Freistoß oder Strafstoß).
- Für diesen Fall gibt es eine weitere Besonderheit: Kommt der Spieler, der das rotwürdige Vergehen begangen hat und entsprechend in der nächsten Spielunterbrechung des Feldes verwiesen werden soll, zuvor an den Ball oder greift anderweitig ins Spiel ein, unterbricht der Schiedsrichter das Spiel. Er verweist den Spieler mit der roten Karte des Feldes und gibt einen indirekten Freistoß für die gegnerische Mannschaft (an dem Ort, an dem der Spieler ins Spiel eingegriffen hat). Analog gilt dies auch für Situationen, die eine gelb-rote Karte zur Folge haben.[3]
Weitere Vorteilsbestimmungen[Bearbeiten]
Im Zusammenhang mit der Vorteilsregel werden weitere Regelungen getroffen, die mit der Vorteilsregel im eigentlichen Sinn aber gar nicht unbedingt zusammenhängen:
- Für die Nachspielzeit wird die „vergeudete Zeit“ unter Beachtung der Vorteilsbestimmung festgelegt. Das heißt: Liegt die Mannschaft, die das Spiel verzögert hat, zum Ende des Spiels zurück, wird die von dieser Mannschaft vergeudete Zeit nicht nachgespielt.[4]
- Hält ein Verteidiger einen Angreifer über einen längeren Zeitraum fest, während dieser in den Strafraum läuft oder aus dem Strafraum herausläuft, entscheidet der Schiedsrichter im Sinne des größeren Vorteils für die gefoulte Mannschaft jeweils auf Strafstoß.[2]
Quellen[Bearbeiten]
- ↑ 1,0 1,1 DFB Fußball-Regeln, Ausgabe 2020/2021, Seite 35
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Siehe Regel 12: DFB Fußball-Regeln, Ausgabe 2020/2021, Seite 77
- ↑ Dies ergibt sich aus einer Regeländerung zur Saison 2016/17: DFB Fußball-Regeln, Ausgabe 2020/2021, Seite 77
- ↑ Dies ergibt sich aus Regel 7, Anmerkungen des DFB, siehe DFB Fußball-Regeln, Ausgabe 2020/2021, Seite 56
Dieser Artikel wurde inhaltlich geprüft. Die Inhalte entsprechen den Regeln zum Stand der Saison 2020/2021. Da noch keine Überprüfung für die laufende Saison erfolgt ist, besteht die Möglichkeit, dass der Artikel in einzelnen Passagen nicht mehr den aktuellen Regeln oder Auslegungen entspricht! |